Interview mit dem Tagblatt


Am 15.05.2019 hat das Tagblatt ein Interview mit unseren Kandidaten für den Gemeinderat abgedruckt.

‚Nicht radikal, aber idealistisch‘



In Interviews stellt das Tagblatt alle Mössinger Listen zur Gemeinderatswahl vor. Nach der FWV sind „LiSt – Linke im Steinlachtal“ an der Reihe. Sie wollen städtische Sozialwohnungen, mehr Bürgerentscheide und eine Fußgängerzone.



TAGBLATT: Frau Jochen, Herr Schneider, wir haben in Mössingen bereits eine SPD- und eine Grünen-Fraktion. Beide stehen nicht gerade im Verdacht, besonders rechts zu sein. Warum braucht es noch eine Linken-Fraktion?
UWE SCHNEIDER: Ursprünglich hat sich unsere Gruppe "Linke im Steinlachtal" gar nicht mit dem Gedanken gegründet, in den Gemeinderat zu gehen. Aber nun gibt es uns – und wir können in Mössingen gut eine klare linke Alternative bieten. Außerdem ist es uns definitiv ein Anliegen, linke Politik vorzustellen und voranzubringen - auch im Gemeinderat.



Sie meinen, damit altmodische Menschen bei "links" nicht gleich an die stalinistische Weltrevolution denkt?
SCHNEIDER: Man hat ja das Gefühl, manche Leute haben geradezu Angst vor „den Linken“.
CLAUDIA JOCHEN: Und zur Frage nach dem derzeitigen Gemeinderat: Die Räte in den genannten Fraktionen sind alle in Ordnung. Aber es geht uns auch um den Namen, der dahintersteht. Und mit der Politik der Bundes-SPD etwa bin ich eben überhaupt nicht einverstanden. Wir als Linke in Mössingen wollen nicht radikal sein, aber wir haben eine idealistische Vorstellung von der Stadt. Die bringen wir auch gerne gemeinsam auf den Weg, mit Grünen und SPD.



Was wäre für Sie denn so ein Ideal-Mössingen?
JOCHEN: Ein Beispiel ist der neue Stadtplatz vor dem Gesundheitszentrum: Es gibt da fast kein Grün, keine Wohlfühlqualität. Wo ist hier eine Mitte, in der man sich wirklich treffen möchte?



Die soll ja gerade entstehen.
JOCHEN: Um das klarzustellen: Man kann sich in Mössingen sehr wohlfühlen, kein Zweifel. Allein die super Natur drumherum! Einkaufen ist auch möglich. Aber: Wo sind die richtig liebenswerten Plätze in der Stadt direkt? Selbst der schöne Steinlachstrand musste ja von Bürgern in Eigeninitiative aufgebaut werden. Die Stadt selbst muss da noch liefern.
SCHNEIDER: Mössingen ist zudem eine Stadt, die nach dem Krieg für Autofahrer konzipiert wurde. Es soll aber eine Stadt für Fußgänger, für Fahrradfahrer, Rollstuhlfahrer, Rollatorfahrer sein. Nehmen Sie nur mal die aufgemalten Radwege auf der Straße. Wir wollen, dass es große, abgegrenzte Wege für alle Personengruppen Richtung Stadtmitte und Schulen gibt. Und in der Innenstadt soll eine gemütliche Fußgängerzone zum Bummeln entstehen.



Oha - das ist eine Idee, die vielen gar nicht behagen wird.
SCHNEIDER: Aber es ist viel besser als die jetzigen Tempo-20-Pläne in der Innenstadt! Wissen Sie: In München gibt es heute eine Ehrentafel für den damaligen Erfinder der Fußgängerzone. Seien Sie sicher, in München hat  es zuvor auch Bedenken gegeben. Jetzt wird es Zeit für Mössingen.



Ladenbetreiber sagen, sie seien auf Autoverkehr angewiesen.
SCHNEIDER: Eine Stadt ist für Menschen da und muss Plätze schaffen, wo die sich gerne aufhalten. Wenn das hier klappt, werden die Menschen hier auch einkaufen. Nehmen Sie Balingen: Da ist sogar am Sonntag mehr los als hier am Samstag – und das liegt an einer geschickt aufgebauten Fußgängerzone.



Ich bin mir nicht sicher, ob Sie dafür Mehrheiten bekommen.
SCHNEIDER: Wer weiß – vielleicht warten die Leute ja darauf. Uns geht es ja auch darum, mehr darüber zu erfahren, was die Mössinger wirklich wollen. Wir wollen etwa, dass Bürger den Gemeinderat leichter zwingen können, sich mit einem Thema aus der Bevölkerung in einer Sitzung zu beschäftigen. Bürgerentscheide statt bloßer Bürgerbeteiligung, das ist unsere Forderung.



Das mit der Fußgängerzone und den Grünflächen klingt wie klassische „Unsere-Stadt-soll-schöner-werden“-Politik. Linke Themen drehen sich aber üblicherweise eher um handfestere Dinge, wie Löhne, Preise, Wohnraum.
JOCHEN: Danke für das Stichwort! Ein kostenloser ÖPNV in Mössingen etwa – das wäre gut. Das ist übrigens ein Thema, über das man fraktionsübergreifend reden kann, selbst die CDU hat sich ja positiv darüber geäußert. Außerdem wollen wir, dass die Stadt mehr in den Sozialen Wohnungsbau investiert.



Aber die Stadt baut doch gerade. Sie wird wohl auch mindestens im geplanten großen Pausa-Areal die Voraussetzungen für mehr Sozialen Wohnraum schaffen.
JOCHEN: Vielleicht nicht genug – und möglicherweise nur für Investoren. Wir wollen aber, dass die Stadt da selber Geld in die Hand nimmt.



Das wird teuer.
JOCHEN: Aber wir haben dann die Sicherheit, dass die Kontrolle, was und wie gebaut wird, weiterhin bei der Öffentlichkeit liegt. Übrigens würde auch mehr Wohnraum an sich die Lage entlasten: Es gibt immer noch zu viele Häuser in Mössingen, die unnötig leer stehen. Nehmen Sie den „Engel“...



... ein Haus in Privatbesitz...
JOCHEN: ...da muss politisch mehr Druck gemacht werden. Man nennt ihn ja schon „das Taubenhaus Mössingens“ – und das in bester Lage im Stadtbild!



Apropos Stadtbild: Sie haben als LiSt ja das Thema Blumenstadt auf Ihrem Flyer. Manche Leute sagen, die gibt es eh nicht.
SCHNEIDER: Die Mössinger haben ja zurecht mit der Blumenstadt allseits Lob bekommen! Das war ein tolles, identitätsstiftendes Konzept. Früher habe ich Freunde von außerhalb eingeladen, damit sie die Blumenstadt hier sehen. Aber wenn es in Mössingen wieder aufleben soll, muss man es konsequent machen.



Wie wollen Sie Ihren Ideen eigentlich Gehör verschaffen? Ein, zwei Sitze wären bei der derzeitigen Lagedoch schon ein Riesenerfolg für Sie.
JOCHEN: Drei Sitze wären besser – dann hätten wir die Perspektive unseres Rollstuhlfahrers Tobias Kieninger noch dabei. Und wir wollen ja nichts durchdrücken – das könnten wir gar nicht. Aber wir wollen mindestens ein Sprachrohr für gewisse gute Ideen sein.
SCHNEIDER: Wenn wir etwas von den anderen Fraktionen gut finden, werden wir auch das unterstützen.
JOCHEN: Ich kann von jeder bestehenden Fraktion im jetzigen Gemeinderat gute Leute aufzählen, mit denen man bestimmt etwas zusammen auf die Beine stellen kann. Auch ein Andreas Gammel von der CDU würde ja nie sagen: „Da bin ich dagegen, weil es von den Linken kommt.“ Auch die Verwaltung hat uns gut unterstützt bei unserem Antrag, dass wir überhaupt kandidieren dürfen (könnte man eventuell streichen)



Das klingt jetzt doch wieder verdächtig konsensorientiert und gar nicht so „links“.
SCHNEIDER: Der Nutzen für die Menschen, ihre Teilhabe am Geschehen stehen im Vordergrund, nicht die Übereinstimmung. Kommunalpolitik wird immer direkt an der Realität vor Ort gemessen und am gesunden Menschenverstand. Da kommen wir bestimmt mit einigen im Gemeinderat überein. Und seien sie sicher: Ich komm selbst ursprünglich aus der DDR. Dieses politische System wünsche ich mir nicht zurück.



Sie haben auch mal erwähnt, dass Sie sich unter dem Eindruck hoher AfD-Prozente im Steinlachtal gegründet haben.
JOCHEN: Das ist auch so, wir wollten auch ein Zeichen setzen. Dass man die AfD wählt, ist ja schon schlimm genug. Aber gerade sozial nicht so gut gestellte Leute müssen sich die Frage doppelt stellen: Wie kann das Lamm den Schlächter selber wählen? Ich bin der Meinung: In unserer Gesellschaft muss man mehr teilen, auch auf lokaler Ebene. Und das ist das Gegenteil von rechtsextremer Politik, die ja das Recht des Stärkeren und Reicheren propagiert.



Deshalb haben Sie sich für unser TAGBLATT-Foto offenbar auch den Löwensteinplatz als Symbol des antifaschistischen Widerstand ausgesucht.
JOCHEN: So ist es. Wir müssen sicherstellen, dass nicht nur die Geschichte der Pausa, sondern auch der Generalstreik zentral für die Mössinger Identität werden. Wir wollen den Gedenkquader nicht versteckt im Rathaus, sondern zentral gelegen, auf dem Pausaareal.